Schwanger und schlecht gelaunt  –
von Frau zu Allgemeinbrut
Dieser Artikel erschien bei Terre des Femmes Schweiz
Photo by Arren Mills on Unsplash
Ich bin pummelig und habe breite Füsse, leider Grund genug für etliche Hänseleien während meiner 30 Jahre auf der Welt – trotzdem wurde ich nie so diskriminiert wie während meiner Schwangerschaft.
Für meinen Körper, der bis dato niemals an einer schweren Krankheit litt, niemals ein extremes Sportprogramm oder eine umfangreiche Diät bewältigen musste und die meiste Zeit seines pummeligen Lebens in einer wohligen Komfortzone aus gutem Essen, Faulenzen und dem ein oder anderen aufregenden Affairchen verbracht hatte, war die erste Schwangerschaft ein sehr aufwühlender physischer Ausnahmezustand. Meine Tochter forderte jeden Tag neue Bereiche meines Körpers, liess meine Füsse anschwellen, meine Brüste pochen, meine Fingernägel dünn werden, brachte mich zum Frohlocken, Kotzen und Schwitzen. Ich mache ihr keinen Vorwurf, denn bis heute hat sie mich gebührend für all den Zirkus entlohnt. Es waren andere, die meinen Körper in eine Art risikobehaftetes Allgemeingut degradierten und denen ich das bis heute übel nehme: Sie waren überall, sie waren meine Freund*innen, meine Familie, meine Ärzte und Fremde.
Auf offener Strasse bekam ich mehrmals am Tag unerbetene Ratschläge. «Laufen Sie nicht so schnell», schrie mir der Obstverkäufer im Vorbeigehen nach. «So können Sie hier nicht sitzen», sagt eine Dame schockiert zu mir, als ich mich in einer Markthalle mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einen Barhocker pflanze, um ein Croissant zu frühstücken. «Da erstickt doch ihr Kind, das hat ja keinen Platz zwischen Ihren Beinen.»
«Du spinnst ja wohl, schwanger auf der Vespa und noch einen Rucksack auf dem Rücken!», begrüsst mich ein Arbeitskollege auf dem Hof, er wird mich noch mehrmals an diesem Tag darauf hinweisen, dass es gefährlich sei, Rucksäcke oder Einkaufstüten zu tragen, weil man damit «quasi sein Kind abtreibt, das geht ganz schnell, PLUFF!» Resigniert gelobe ich Besserung, im Kopf packe ich ihn am Kragen, schüttle ihn und mache ihm weis, dass 2,5 kg Laptop in meinem Rucksack und ein Salatkopf und 2 Äpfel in der Einkaufstüte definitiv nicht zu schwer sind. 
Sogar bei meinem Partner überkommt mich eine Trotzhaltung, weil er ausnahmslos bei allen gynäkologischen Untersuchungen (die in Deutschland im Abstand von wenigen Wochen mehrmals gemacht werden) dabei sein möchte. Ich sage: Mein Körper, mein Arzt, meine gespreizte Vagina, er sagt: Sein Kind, seine Unterstützung, seine Nerven. Wir finden einen Kompromiss, ich gehe allein hin und rufe dann gleich an, um ihn zum Zustand des Babys upzudaten. Fair enough.
Später stehe ich als letzte vor der Tür einer gut gefüllten U-Bahn und habe gerade eine Mulde entdeckt, in die ich mit meinem Bauch perfekt hineinpasse. Eine Frau mit Kinderwagen macht sich darin breit. «Das ist für Sie zu eng. Das sehen Sie doch. Viel zu gefährlich.» Die U-Bahn-Tür schlägt zu. Ich nehme die nächste. 
So schön ich es finde, dass man in der Schwangerschaft durch die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte viel vorbeugen, kontrollieren und beeinflussen kann, so belastend empfand ich jedoch das ständige Gefühl, das Überleben meines Babys (und nicht nur das, auch seine Intelligenz, seine Musikalität, seine Emotionalität!) würde allein von meinem Verhalten abhängen. War ich anfangs der Schwangerschaft sehr glücklich und intuitiv sehr sicher, dass es mir und meiner Tochter wunderbar geht, bekam ich mit zunehmenden Kommentaren im Umfeld, Kontrollterminen beim Arzt und Produktvorschlägen bei Amazon (Sie brauchen unbedingt eine Bauchbandage mit kleinen integrierten Massageelementen zur ständigen Durchblutungsförderung der Gebärmutter in der Nacht) immer mehr das Gefühl, es könnte etwas schiefgehen, und dann hätten es alle besser gewusst als ich. Wenn ich einen Nachmittag vergass, die Folsäure zu schlucken, bimmelte gleich das schlechte Gewissen, ich würde bei meinem Kind die Zellteilung boykottieren. Als mich beim Flanieren durch Berlins Strassen eine Fahrradfahrerin heftig beleidigt, weil ich es gewagt habe, bei roter Ampel über eine wenig befahrene Strasse zu latschen, muss ich kurz innehalten. «Bin ich eine schlechte Mutter? Muss ich mehr Verantwortung zeigen? Kann ich es mir noch leisten, bei Rot über die Strasse zu laufen? Habe ich überhaupt noch alle Tassen im Schrank?»
Zu meinem Glück hatte ich eine tolle Hebamme, die mir nur Ratschläge gab, wenn ich danach fragte und mich immer wieder bestärkte, auf mich selbst zu hören. Schwangerschaftsdiabetes? Listerien? Koffein? Katzen? Trinkwasser aus Bleirohren? – Kann man sich von stressen lassen, muss man vielleicht aber auch gar nicht. «Wenn du glücklich bist, ist es dein Kind auch. Und: Wir Frauen machen das schon ein paar tausend Jahre, das kriegst du auch noch hin.» DANKE, liebe Helena. I owe you.
Denn wenn ich müde war, trank ich schwarzen Tee. Wenn ich Riesenlust auf Sushi hatte, ass ich es einfach. Auf der Sommerparty von den Baiers wagte ich es, mit schwangerem Bauch auf der Hüpfburg zu springen und ja, ich gebe zu, es gab einmal diesen Moment, wo ich völlig fertig mit den Nerven war, gerade vier Stunden geheult hatte und für mich die einzige Lösung aus meinem emotionalen Ausbruch eine Zigarette war. Die habe ich dann halt geraucht. Mein Kind hat es überlebt. Ich hatte eine tolle, heftige aber sehr selbstbestimmte Geburt. 
Für die, die sich jetzt dabei erwischen, einer Bekannten auch schon einmal den ein oder anderen Kommentar über die Brutlogistik entgegengefeuert zu haben: Ich kann den Impuls, etwas sagen zu wollen, durchaus verstehen. Es gibt auch Extremfälle, in denen auch ich versuchen würde, behutsam auf etwas hinzuweisen oder meine Hilfe anbieten würde, sei es beispielsweise bei Drogen- oder Alkoholkonsum. Da gibt es sehr eindeutige Studien und Erkenntnisse, die es zu verteidigen gilt.
Wenn eine Frau sich entscheidet, ein Kind zur Welt zu bringen, ist nichts schützenswerter als ihr ungeborenes Leben im Bauch. Ihr könnt euch aber sicher sein, dass die, die sich am meisten Sorgen über das Ungeborene machen, immer noch die Mütter selbst sind. Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen haben viel studiert und Wichtiges geschafft, um Fehlgeburten zu verhindern und dem Leben auf die Welt zu helfen, wenn es Schwierigkeiten gibt. Jedoch sollten all diese Ratschläge, Tests, Pränataldiagnostiken und Statistiken doch bitte dazu da sein, unsichere Frauen zu unterstützen, statt Unsicherheiten zu schaffen. Ich glaube fest daran, dass jede Frau selbstbewusst und selbstbestimmt ein Kind zur Welt bringen kann, wenn sie will. Es tut scheisse weh, es ist nicht vergleichbar mit irgendetwas anderem, was wir tun, aber wir können es! 
Für die, die noch kein Kind bekommen haben: Die Ratschläge hören mit der Geburt des Kindes keinesfalls auf – wurde während der Schwangerschaft noch der Körper der Frau torpediert, ist es nach der Geburt die Erziehung, zu der jeder gern eine Meinung haben möchte.
Mein Appell an euch: Helft, werdende Mütter zu starken Frauen zu machen. Lobt, wie sie diese Aufgabe schaffen, bietet Unterstützung an, wenn es mal schwieriger wird und gebt Mut, wenn mal was schiefläuft. Die besten Mamas sind die, die sich sicher fühlen.

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